Gedicht zur Weihnachtsbescherung

Weihnachtsbescherung

Am Weihnachtsfest folgt’ ich der alten Sitte,
Zum Friedhof lenkte ich die Schritte,
Meinem Liebling, von des Lebens Müh’
Dahingerafft so jung, so früh,
Hab’ ein Tannenzweiglein ich gebracht,
Und dabei anderer Weihnacht gedacht,
Da unter des Lichtbaumes Prangen
Voll Dankbarkeit er mich umfangen.

Und als ich so stand an seinem Grabe,
Von ungefähr gefragt ich habe:
Wem doch am wohlsten wär’ von uns beiden,
Ob er, der entflohen der Menschen Leiden
Und so ruhig schläft in der Erde Schoß,
Nicht errungen hätte das bessere Los,
Statt in des Lebens harten Kämpfen
Die eigene Leidenschaft zu dämpfen,
Und unter der Menschen Getriebe und Hast
Nur selten finden zur Einkehr Rast …

Da war’s, als säh’ er mich sinnend an,
Wie früher er so oft getan,
Heut’ wollt er mich mahnen meiner Pflicht:
Geh’ deinen Weg grad, treu und schlicht,
Und was das Leben bringt, das trage,
Im Kampf sieh nicht gleich schlimme Plage.
Die Ruhe findest du noch beizeiten,
Wenn auch dich sie lassen heruntergeleiten!

- So schied vom Grab ich, nicht trüb und bang,
Zu neuen Kampf mit frischem Drang
Für Menschenwohl und Menschenwert!
Das hatte – mein Junge mir beschert.

Ludwig Müffelmann 1853 – 1927

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