Trauiges Weihnachtsgedicht für nachdenkliche Stunden

Die Zeit, sie war erfüllt

Die Zeit, sie war erfüllt. Es lag die Nacht
Geheimnisvoll und schweigend auf der Erde,
Und mit den Sternen hielten stille Wacht
Die Hirten auf dem Feld bei ihrer Herde.
Auch ihre Seele harrte sehnsuchtsschwer
Des Tags, da Heil den Menschen widerfahre,
Und tröstlich schwebten dämmernd um sie her
Prophet’sche Worte längst verschollner Jahre.

Und wie sie lauschten ihrem Licht und Klang
Und tiefer ahnten ihre volle Wahrheit,
Da schwoll die Seele ihnen freudig bang,
Denn sie umleuchtete Jehovas Klarheit.
Ein Engel trat zu ihnen segnend her:
“Seid ohne Furcht! ich bring’ euch frohe Kunde:
Der Heiland, welcher Christus ist, der Herr,
Er ward geboren euch in dieser Stunde!”

Ein süßer Friedenshauch umwehte sie,
Den nur geahnet die Propheten haben;
Sie blieben stumm vor Lust und Freude, wie
Ein Kind verwundert schaut des Christbaums Gaben.
Dann aber fuhr der Engel frohe Schar
Lobpreisend nieder von den Himmelshöhen,
Und ihre Stimmen schollen wunderbar,
Getragen von der Nachtluft leisem Wehen.

Glückselig, wenn auch du vernahmst den Klang,
Wenn du durch Nacht geschaut den Himmelsmorgen!
Ist aber noch dein Herz von Zweifeln bang,
Ist’s noch gedrückt von Zweifeln und von Sorgen,
Verzage nicht: die trübste Stunde ist
Zur höchsten Freude oft vom Herrn erkoren.
Nicht lang, so hörst du’s tönen: Jesu Christ,
Der Sünder Heiland, ist auch dir geboren!

Friedrich Adolf Krummacher

1